Akteur der Hamburger Erinnerungskultur verstorben. Nachruf auf Dr. Detlev Landgrebe
Der am 27. März 1935 in Reinbek geborene Detlev Landgrebe ist der Sohn des Philosophen Professor Dr. Ludwig Landgrebe und seiner Frau Ilse Maria, geb. Goldschmidt. Aufgrund der jüdischen Herkunft der evangelisch getauften Mutter war die Familie von Verfolgungsmaßnahmen betroffen, 1935 emigrierte sie nach Prag, 1939 ins belgische Löwen. Nach der Besatzung durch die Wehrmacht geriet der Vater in Haft; nach seiner Entlassung kehrte die Familie ins Haus der Schwiegereltern nach Reinbek zurück. Einen Monat nach dem Tod der Großmutter – ihr verweigerte der Reinbeker Pastor ein christliches Begräbnis – wurde der Großvater Arthur Goldschmidt, bis 1933 Richter am Hanseatischen Oberlandesgericht, am 20. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Dort betreute der Jurist die evangelische Gemeinde Theresienstadt, um die im Ghetto inhaftierten Christinnen und Christen jüdischer Herkunft zu stärken. Er konnte überleben, aber andere Familienangehörige kamen durch die NS-Verfolgung zu Tode. 2008 veröffentlichte Detlev Landgrebe ein umfangreiches Buch über das Verfolgungsschicksal seiner Familie „Kückallee 37. Eine Kindheit am Rande des Holocaust“, in dessen Anhang die Ausarbeitung seines Großvaters Arthur Goldschmidt über die „Geschichte der evangelischen Gemeinde Theresienstadt 1942–1945“ abgedruckt ist – eine für die historische Forschung wichtige Quelle.
Durch seine Familiengeschichte geprägt, engagierte sich Detlev Landgrebe stark für die Bewahrung der Erinnerung an die NS-Vergangenheit, u.a. als Vorsitzender der „Notgemeinschaft für die von den Nürnberger Rassegesetzen Betroffenen“, im „Arbeitsausschuss der Hamburger Verfolgtenverbände“, in der Geschwister-Scholl-Stiftung und in der Vereinigung „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ sowie als Geschäftsführer der „Hamburger Stiftung Hilfe für NS-Verfolgte“. In den Jahren 2005 bis 2018 hielt er vielfach bei den zentralen Kranzniederlegungen zum Volkstrauertag die Ansprachen, deren bewegende Worte und kritischen Reflexionen über Aspekte der Vergangenheitsaufarbeitung von bleibender Bedeutung sind.
Nachdem Detlev Landgrebe bereits in der Senatskanzlei als Regierungsdirektor im Rahmen seiner Zuständigkeit u. a. für kulturelle Angelegenheiten mit erinnerungskulturellen Themen befasst war, fielen 1990 nach seinem Wechsel in die Kulturbehörde Fragen der Gedenkstättenentwicklung unmittelbar in seinen Zuständigkeitsbereich. Nach der Gründung der Hamburger Museumsstiftungen und der Herauslösung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme aus dem Museum für Hamburgische Geschichte war er ab 1999 als Abteilungsleiter Museen und Gedenkstätten und damit unmittelbarer Vorgesetzter des Leiters der KZ-Gedenkstätte Neuengamme.
Auch nach Eintritt in den Ruhestand 2002 unterstützte Detlev Landgrebe die Arbeit der KZ-Gedenkstätte Neuengamme in vielfältiger Weise. In den Jahren 2002 bis 2016 vertrat er die Gedenkstätte regelmäßig bei den Kongressen der Amicale de Neuengamme, der mitgliederstarken französischen Lagergemeinschaft von Überlebenden, Hinterbliebenen und Angehörigen. Er überbrachte hierbei nicht nur die Grüße der Freien und Hansestadt Hamburg, sondern förderte die Vernetzung durch die Kontaktpflege und Berichte über die Aktivitäten in Neuengamme wie über die Beratungen der verschiedenen Sektionen der Amicale.
Bei der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes erklärte die seinerzeitige Zweite Bürgermeisterin Dr. Dorothee Stapelfeld: „Es ist auch Ihrem außerordentlichen Engagement und Ihrer Überzeugungskraft zu verdanken, dass die Hamburger Bemühungen um die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in der „Amicale“ anerkannt und gewürdigt werden.“
Detlev Landgrebe verstarb am 9. Juni 2022 87-jährig nach schwerer Krankheit in Hamburg-Blankenese. Unser Mitgefühl gilt seiner Frau und der Familie.